Einblicke
Einblicke in unbekannte Dimensionen: Wie Wahrnehmung unser Verständnis der Realität prägt
Manchmal reicht ein kurzer Blick auf ein schönes Gesicht und man ist verzaubert von so viel Anmut. Möchte man dem Nächsten von diesem Anblick berichten, fehlen einem jedoch die rechten Worte. Kein Wort kann auch nur annähernd wiedergeben, was man gesehen hat. Hübsch, nett, gut aussehend, anmutig, strahlend, imposant, interessant, nachdenklich, fröhlich, wundervoll oder wunderbar sind Worte, die in diesem Kontext Anwendung finden könnten. Jedes einzelne dieser Worte ist in unserem Kopf mit festen Werten belegt. Wenn ich in meinem Bewusstsein krame, mit welchen Werten das Wort hübsch belegt ist, entsteht allerdings kein ausgereiftes Bild. Es ist gar nicht so einfach, zu definieren, was ich mir darunter vorstelle. Genau genommen sehe ich Farben, klares Wetter, eine kurze Sequenz eines Schmetterlingsflügels und ähnlich unbestimmtes Zeug. Auf keinen Fall sehe ich das Gesicht vor mir, von dem mir gerade mit diesem Wort berichtet wurde. Wörter, die das Gefühlsleben beinhalten, schaffen ein etwas realeres Bild. In sich versunken, jubilierend, die Nase rümpfend sind besser geeignete Ausdrücke, um das gesehene Gesicht zu beschreiben. Trotzdem ist auch hier kein Erfolg in Sicht, wenn ich es darauf abgesehen habe, das von mir wahrgenommene Gesicht vor dem inneren Auge des Zuhörers erscheinen zu lassen. Was in keinster Weise über Sprache zu transportieren ist, ist das emotionale Bild, welches schon nach einem kurzen Blick in meinem Kopf entstanden ist. Diese Informationen gehen weit über das bloße Beschreiben der Physiognomie des Gesichtes hinaus. Vertieft man sich zum Beispiel länger in den Anblick einer Person auf einem Foto, entsteht sofort ein klarer Einblick in das Gefühlsleben der abgebildeten Person. Man hat geradezu den Eindruck, einen tiefen Einblick in das Seelenleben mit vergangenem Schmerz und Freude und zukünftigen Erwartungen erkennen zu können. Versucht man jetzt, das Gesehene in Worte zu fassen, verschwindet der Eindruck fast augenblicklich. Noch schneller ist der Zauber zerstört, wenn die betrachtete Person plötzlich den Mund öffnet und zu sprechen anfängt. Jedes gesprochene Wort ruft sofort die dazu abgespeicherten Assoziationen auf, die das Bild des unbekannten Menschen zu einer Collage eigener Erinnerungsfetzen werden lassen. Si tacuisses, hättest du doch geschwiegen.