Zum Inhalt springen
Home » Neurotoxisch

Neurotoxisch

Neurotoxisch

Ein Joint zu Weihnachten: Über flüchtige Erkenntnisse und die Illusion tiefgreifender Einsichten

Zu Weihnachten haben meine Frau und ich nach langen Jahren mal wieder einen Joint geraucht. Mein Sohn hatte ihn vorbereitet und es mit der Dosierung für seine Eltern etwas zu gut gemeint. So verbrachten wir also den Weihnachtsabend in einem mentalen Kaleidoskop wildester Farbsensationen und Gedankeneingebungen. Als Arzt gehe ich davon aus, dass die Neurotoxizität des THC für diese Phänomene verantwortlich ist. Wie kommt es aber, dass viele der Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, im kurzen und leider vollständig flüchtigen Augenblick des Rausches in höchstem Maße sinnvoll erschienen? Wie vermutlich viele bekiffte Teenager vor mir hatte auch ich das Gefühl, tiefe Einblicke in die Zusammenhänge von Zeit und Raum zu gewinnen. Ich fantasierte, Wahrheiten zu erkennen, die mir bisher verborgen geblieben waren. Die Erkenntnisse stürzten dabei in einem derartigen Tempo auf mich ein, dass sie, kaum von mir wahrgenommen, schon wieder im Licht der nächsten Erkenntnis verschwanden. Wie bei einer musiksynchronen Diskobeleuchtung, bei der mit jedem Lichtblitz eine neue Welterkenntnis für Bruchteile einer Sekunde aufleuchtete. Man sollte doch eigentlich denken, dass eine toxische Substanz die Gedankengänge des von ihr beeinflussten Gehirns derart stört, dass jegliche Sinnhaftigkeit verloren geht. Störe ich zum Beispiel die Funktionalität eines Grafikprogrammes, entstehen nicht schöne Bilder in surrealer Form und Farbe, sondern gar keine oder bis zur Unkenntlichkeit zerstörte. Trinke ich zu viel Alkohol, wird meine Sprache nicht übermäßig lyrisch und äußert sich in komplizierten Hexametern, sondern wird lallend und unverständlich. Wie vermag eine Droge die Erkenntnisfähigkeit derart zu steigern? Die Wirkung scheint die Rechenkapazität des Gehirns so zu beschleunigen, dass Assoziationen und Erkenntnisse möglich sind, von denen man sonst nur träumen kann. Nur schade, dass sich dieser Effekt bisher nicht kontrollieren lässt. Was wäre in Kunst und Wissenschaft alles möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert