Eine gute Wahl
Eine gute Wahl? Warum unser Wahlsystem auf den Prüfstand gehört und wie Wissen die Demokratie stärken könnte
Ich denke, nur wenige Menschen in diesen Landen würden der Aussage widersprechen, dass die Demokratie die gerechteste Gesellschaftsform ist. Jedem steht es offen, sich am politischen Diskurs zu beteiligen. Ungeachtet seiner Herkunft, seines Geschlechts, seines Alters, Reichtums oder seiner sexuellen Ausrichtung ist es jedem möglich, ein hohes politisches Amt zu bekleiden. Und wer sich nicht direkt beteiligen mag, kann durch seinen Stimmzettel geeignete Volksvertreter wählen, die seinen Standpunkt in der Öffentlichkeit verteidigen.
Politische Entscheidungen folgen von der Idee bis zum Gesetz vorgegebenen Abläufen, die für den Interessierten einsehbar und nachvollziehbar sind. Die zur Wahl stehenden Kandidaten stehen im Lichte der Öffentlichkeit, sodass ihr Handeln, ihre Absichten und ihr Charakter für den Wähler frei erkennbar sind. Ein gutes System, würde ich sagen, und wer würde mir nicht zustimmen. Hat man hochwertige Zutaten, sollte doch eigentlich ein köstliches Gericht gelingen. Aber halt, eine entscheidende Zutat fehlt noch. An dieser ganz zentralen Zutat wird leider gespart. Der schönste Parmesan, das frischeste Basilikum und die feinsten Pinienkerne können ein Pesto nicht retten, wenn ich das Olivenöl nicht vorher probiert habe. Sollte es bitter sein, darf mich das misslungene Ergebnis am Ende nicht erstaunen. Ohne vorherige Prüfung des Öls ist das Risiko eines schlechten Ergebnisses groß. Die vergessene Zutat, die vor einer Volksvertreterwahl unbedingt zu prüfen ist, ist der Wähler selbst. Nein, ich meine keine Gesinnungsprüfung; ein solches Vorgehen würde demokratische Grundprinzipien verletzen. Andere Meinungen, und mögen sie noch so irrig sein und meiner Meinung diametral gegenüberstehen, habe ich klaglos zu ertragen. Aber muss ich es ebenso klaglos hinnehmen, dass bei uns Blinde über Farben abstimmen und Taube über Musik? Ist es nicht naheliegend, dass ich einen Wähler teste, bevor ich ihn zur Wahlurne lasse? Ein Mensch, der sich nicht im Mindesten um gesellschaftliche Zusammenhänge kümmert und sich noch keinen Tag im Leben für Politik interessiert hat, kann doch unmöglich das gleiche Wahlrecht haben wie ein Politikwissenschaftler.
Mit der Wahl eines Volksvertreters in schwierigen Zeiten entscheidet der Wähler über eine Herangehensweise an komplexe Probleme. Wie soll eine Pandemie behandelt werden? Soll ein Land in der EU verbleiben? Wie soll man sich wirtschaftlich und moralisch in der Welt positionieren? Keine dieser Fragen ist einfach zu beantworten. Daher sollte darüber auch nicht aus dem Bauch heraus abgestimmt werden. Wie kommt man auf die Idee, jede Stimme wäre gleich viel wert? Bitte nicht falsch verstehen, dies wird kein Plädoyer für den Entzug des Wahlrechts. Es wäre aber denkbar, eine Gewichtung der Stimme einzuführen. Ein einfacher Multiple-Choice-Test, den jeder Wähler geheim in der Wahlkabine vor Abgabe seiner Stimme auszufüllen hat, könnte schon gewaltig helfen, eine Wahl zu qualifizieren. Der Test könnte einfachstes gesellschaftliches und politisches Grundwissen abfragen. Entsprechende Fragen könnten lauten: Welche Partei stellt den aktuellen Verteidigungsminister? Oder: Nennen Sie mindestens drei Nachbarländer von Deutschland. Die Anzahl der richtig beantworteten Fragen könnte genutzt werden, um die Gewichtung der Wählerstimme festzulegen. Beantwortet ein Wähler alle 10 Fragen richtig, liegt seine Stimmgewichtung bei eins. Er hat eine volle Stimme. Beantwortet er nur fünf Fragen richtig, liegt seine Stimmgewichtung bei 0,5. Seine Stimme zählt nur zur Hälfte, und so weiter.
Diese Art der Stimmgewichtung ließe sich jedem Bürger vermitteln, da sie nicht nach einer Gruppenzugehörigkeit diskriminiert. Nicht das Geschlecht, nicht die Rasse, nicht das Alter oder der gesellschaftliche Stand entscheiden über die Stimmgewichtung, sondern lediglich politisches Grundwissen. Die Stimme eines politisch desinteressierten Milliardärserben würde bei schlecht bestandenem Test genauso abgewertet werden wie die Stimme eines dauertrunkenen Rechts- oder Linksradikalen. Denkbar wäre es auch, jedem Wähler nach der Wahl in einem verschlossenen Umschlag seine Stimmgewichtung mitzuteilen. Ein schlechtes Ergebnis würde vielleicht die Motivation zu mehr politischer Fortbildung fördern. Wer weiß, wie viele Politikwissenschaftler wir plötzlich hätten.