Schöpfer
Zwischen Algorithmus und Allmacht: Eine gedankliche Reise zum Gottesbeweis
Würde ich ein Spiel erschaffen oder gleich eine ganze Welt, würde ich Regeln vorgeben, in deren Rahmen das Spiel abzulaufen hat. Diese Regeln wären verbindlich für jeden Spielzug und jeden Spielstand. Die Spielfiguren, die an meinem Spiel teilnähmen, könnten innerhalb des Spiels viel erreichen. Sie könnten die Regeln geschickt zu ihren Gunsten nutzen und so von Level zu Level steigen. Wären ihnen die Regeln zu Beginn des Spiels nicht bekannt, wären sie in der Lage, diese im Verlauf des Spiels weitestgehend zu ergründen. Bekannte Regeln könnten zukünftig genutzt werden, um den Spielverlauf vorauszusagen und eventuell günstig zu beeinflussen.
Bei einem Computerspiel, bei dem die Spielfigur durch ein Labyrinth steuert und in dem einem verschiedene Monster nach dem Leben trachten, wäre das Regelwerk wohl bald verstanden. Auch der Algorithmus, der die Monster erscheinen lässt und lenkt, die Leben der Spielfiguren verwaltet und das Labyrinth erstellt, ließe sich durch genaue Beobachtung zunehmend erkennen und präzise beschreiben. Vermutlich wäre es sogar möglich, eine Theorie aufzustellen, die die Zusammenhänge der Regeln und Geschehnisse im Spiel umfassend beschreibt und so in der Lage wäre, zutreffende Vorhersagen zu künftigen Ereignissen zu machen. Die Theorie könnte regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden und so lange Gültigkeit haben, wie sie nicht durch falsche Vorhersagen widerlegt werden kann. Solange die Theorie erfolgreich die Regeln und Geschehnisse innerhalb des Spiels beschreibt, kann sie mit Fug und Recht als gültig betrachtet werden.
Es drängt sich allerdings ein sehr ernüchternder Gedanke auf. So fortschrittlich, präzise und ausgefeilt die Theorie auch sein mag, so komplex und umfangreich ihre Vorhersagekraft auch erscheint, so wenig hat sie dennoch mit den wahren Regeln des Spiels zu tun. Wie sollte die Spielfigur je in der Lage sein, den Programmcode des Spiels zu erahnen? Wie sollte die Spielfigur, die ja in der zweidimensionalen Welt des Computermonitors existiert, von der Existenz des Programmierers Notiz nehmen, geschweige denn Einblicke in die Art dessen Intelligenz gewinnen?
Vermutlich wäre es der Spielfigur noch möglich, das Spiel bis zu seinen Anfängen zurückzuverfolgen. Was ihr nicht gelingen könnte, wäre eine Aussage über die Zeit vor dem Spiel, da ja mit Start des Spiels und dem Hochfahren der einzelnen Programmroutinen die Spielregeln erst wirksam wurden. Auch die Frage nach einem Programmierer oder Schöpfer, der die gesamte Spielwelt erschaffen hat, würde vermutlich heiß diskutiert werden. Ein Teil der Spielfiguren käme vermutlich zu der Ansicht, dass ein mächtiger Mitspieler die Spielwelt aus sich selbst heraus erschaffen habe. Ein fester Glaube an seine Existenz wäre diesem wohlgefällig, und das Einhalten bestimmter Verhaltensregeln zu dessen Ehren würde das Fortbestehen der Spielwelt sichern. Hinweise für dessen Existenz würden sich aus dem Auftreten und Wirken besonders erfolgreicher Spielfiguren ergeben. Eine Fülle koexistierender Kandidaten würde um Gemeindemitglieder konkurrieren.
Eine andere Fraktion würde diese Gedanken eines Erschaffers der Spielwelt grundsätzlich ablehnen. Ein wichtiges und auch richtiges Argument wäre, dass die Existenz des Erschaffers ja nicht geklärt werden kann. Die Allmachtsfähigkeit müsste ihm somit abgesprochen werden, da gemäß aller gültigen Theorien auch ein Erschaffer einen Erschaffer bräuchte. Der Gedanke an einen Erschaffer von der unvorstellbaren Macht unseres Spieleprogrammierers wäre in höchstem Maße spekulativ und abwegig. Schließlich würde seine Welt sich mitnichten an die im Spiel gültigen Spielregeln halten. Die Regeln seiner Welt ließen sich aus dem laufenden Spiel heraus weder beschreiben noch ergründen. Und die Frage nach dem Ursprung seiner Existenz würde sich nur ein Betrunkener zu stellen wagen. Prost!