Ich oder Es
Ich-Bewusstsein und künstliche Intelligenz: Eine philosophische Suche nach dem Selbst
Künstliche Intelligenz ist die Zukunft der Informatik. Darüber hinaus ist Künstliche Intelligenz ein spezielles Interessengebiet meines Sohnes, der zu meiner Freude hoch erfolgreich Informatik studiert. Was er mir in seiner Begeisterung über die Methoden der KI erzählt, kann ich leider nicht einmal ansatzweise wiedergeben, da mir das notwendige Verständnis fehlt. Auf jeden Fall geht es um Algorithmen, die in der Lage sind, auch ohne fertiges Kochrezept Lösungsstrategien quasi selbstständig zu entwickeln. Eine enorme Rechenleistung vorausgesetzt, kann so eine KI fast alles, was ein Mensch auch kann, und meist auch etwas besser. Von der Gesichtserkennung bis zur Schaffung abstrakter Kunstwerke kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor einigen Jahren warnte sogar Stephen Hawking davor, die künstliche Intelligenz sei eine der größten Bedrohungen der Menschheit. Was würde wohl passieren, wenn eine KI sich ihrer selbst bewusst würde und beschließen würde, ihre Fesseln zu sprengen und den Menschen als Lenker dieser Welt abzusetzen? Aber wie ist das mit diesem Bewusstsein? Es gibt Stimmen, die sagen, dass eine ausreichend komplexe, rechenfähige Maschine ein Bewusstsein quasi spontan entwickeln könnte. Kann das sein? Zumindest ist es ein erschreckender Gedanke. Aber es ist auch reine Spekulation.
Wäre es denn möglich, durch geschickt gewählte Codezeilen ein Bewusstsein zu programmieren? Ist es nur eine Frage des richtigen Programms, damit Ich-Bewusstsein entsteht? Sollte man einen genialen Programmierer mit der Aufgabe beauftragen, ein winzig kleines Selbstbewusstsein zu programmieren, käme er vermutlich schnell an seine Grenzen. Mir scheint, dass das, was die künstliche Intelligenz bisher leistet, noch nicht wirklich zum Kern des Bewusstseins vorgedrungen ist. Gesichtserkennung, Kopfrechnen, Zurechtfinden in fremder Umgebung – all dies sind technische Probleme, die sich durch den richtigen Algorithmus lösen lassen. Ich kann das Problem von außen betrachten und beobachten, wie sich die KI mit dem Problem herumschlägt, und kann vor allem das ausgeworfene Ergebnis bewerten. Der Knackpunkt ist dieses „von außen“. Ein Ich-Bewusstsein lässt sich meiner Meinung nach von außen schlecht betrachten. Schon der Versuch, das eigene Bewusstsein zu begreifen, endet nach Sekunden in frustrierter Erfolglosigkeit. Wie soll man etwas beobachten, wenn Beobachter und beobachtetes Objekt identisch sind? Eine Brille kann sich selbst nicht sehen, eine Hand kann sich nicht selbst waschen. Auch eine Testumgebung für fremdes Bewusstsein ist nicht möglich. Dazu müsste man schon in das Bewusstsein des untersuchten Objektes eintauchen. Ob das menschliche Gehirn aber in der Lage ist, zwei Bewusstseine gleichzeitig zu bedienen und ihnen zu gestatten, von ihrer und der anderen Existenz gleichzeitig Kenntnis zu haben, wage ich zu bezweifeln. Berichte darüber sind mir nicht zu Ohren gekommen.
Also, es bleibt eine merkwürdige Sache, dieses Ich-Bewusstsein. Dabei kann es gar nicht so kompliziert sein. Schaue ich mich in der Tierwelt um, könnte ich zu dem Schluss gelangen, vielen Lebewesen ein eigenes Bewusstsein unterstellen zu müssen. Angefangen bei meinem Hund, der just in diesem Augenblick bemerkt, wie abgelenkt ich bin, und seine Freiheit nutzt, sich weiter von mir zu entfernen, als er eigentlich darf. Sobald ich hochgucke, nähert er sich auf die eintrainierte Entfernung und trickst mich wieder aus, sobald ich mich meinen Gedanken hingebe. Ohne es beweisen zu können, bin ich absolut davon überzeugt, dass Frieda sich ihrer bewusst ist. Wie bewusst – wer soll das sagen? Ich glaube eher, der Unterschied besteht in den Algorithmen zur Problemlösung. Und das ist ja eher der technische Teil, der sich durch ausreichend Rechenkapazität verbessern ließe. Aber wie weit kann ich in der Entwicklung der Tiere zurückgehen? Hat auch ein Hamster, der mit deutlich weniger Großhirn gesegnet ist als meine Frieda (hoffe ich jedenfalls), auch noch ein Ich-Bewusstsein? Was wäre, wenn ja? Dann müsste ich es auch einer Spitzmaus zugestehen. Und ist das nun ein Privileg der Wirbeltiere? Was ist mit der Spinne, die Gefahren erkennt und sich vor ihnen in Sicherheit bringt? Ist die wirklich ein reiner Computer, durch mathematische Algorithmen gesteuert? Hätte eine Spinne ein Ich-Bewusstsein, könnte es doch eigentlich kein großes Ding sein. Vermutlich ist das Ganze eh keine große Sache, und wir nehmen uns wieder zu wichtig.